Vom Schreiben und Leben in Griechenland – eine Liebesgeschichte.

Es war der perfekte Plan, um endlich meinen Roman zu schreiben: Vier Wochen Griechenland, Meeresrauschen, meine Liebesgeschichte und ich – und viiieeel, viiieeel Kaffee. Endlich weit weg von allen Ablenkungen des Alltags.
„Du wirst dich bestimmt verlieben. Das ist dein Eat, Pray, Love“, sagt meine Freundin einige Tage vor der Reise. „Wohl kaum“, belächle ich sie. Ich habe die letzten Jahre äußerst erfolgreich romantikfrei gelebt und daran würde sich auch jetzt nichts ändern.
(Von meinen bisherigen Datingabenteuern liest du hier).
Die Liebesgeschichte würde lediglich auf den Seiten meines Romans stattfinden, so der Plan.
Was ich nicht wusste: Das Leben hatte bereits eine völlig neue Liebesgeschichte für mich geplant.

Mein Ziel ist ein kleiner Ort in Griechenland direkt am Meer, dessen Namen und Lage ich hier nicht verrate, um die Menschen und ihre Privatsphäre zu schützen, die in dieser Geschichte die Hauptrolle spielen.
Bereits am ersten Abend schlägt mein Plan, am Manuskript zu schreiben, fehl. Nach vierzig erfolglosen Minuten, in denen mich der Cursor erwartungsvoll anblinkt und ich stattdessen von meiner Terrasse auf den emporragenden Berg starre, klappe ich den Laptop zu und entscheide mich, der örtlichen Bar einen Besuch abzustatten.
Ich hatte vergessen, wie gut es tut, mit fremden Menschen zu sprechen. Kommuniziert wird hier nur auf Englisch. Die Bar ist modern und von Zitronenbäumen gesäumt. Vier Brüder leiten sie, erzählt mir Georgie, „mein“ Barkeeper, ihren Eltern gehört ein Restaurant und eine weitere Bar im Ort.
Als ich von meinem 4-Wochen-Schreib-Plan erzähle, freuen sich die Jungs aufrichtig darüber, dass ich mir diesen Ort dafür ausgesucht habe, bekunden aber gleichermaßen, dieser Herbst sei viel ruhiger als normal. Weil die Touristen zum Saisonende ausbleiben, schließen viele Geschäfte und Tavernen im Ort eher als geplant. Ich kenne diesen Ort aus vorigen Sommerurlauben und versichere ihnen, dass es genau die jetzige Ruhe ist, die ich suche – auch wenn die leeren, dunklen Gassen bei Nacht etwas gruselig wirken können.
Am zweiten Abend finde ich meinen Drink bereits an dem Platz, der zu meinem Stammplatz werden soll. Gegenüber von mir winkt ein kleines Kind, nicht älter als ein Jahr. Ich winke zurück und lächle das junge Elternpaar an. Kleines Kind in einer Bar? So etwas würde es in Deutschland nicht geben.

Es ist ein belangloser Abend, aber es ist der, der meine Zeit in Griechenland kennzeichnet:
Eine Zeit voller Momente.

„Hey Georgie.“ Zwei Männer, die ich von gestern wieder erkenne – vermutlich Locals – kommen herein. Ein kurzer Blick, um die heutigen Gäste und die Atmosphäre zu registrieren, dann stellen sie sich neben mich an die Theke. Der eine von ihnen hat einen extrem starken nordamerikanischen Akzent und einen Humor ganz nach meinem Geschmack.
„Sag, Georgie, kann ich dem kleinen Mann da drüben einen Shot ausgeben?“ Er deutet auf das kleine Kind und ich versuche, mein breites Grinsen zu verstecken, will nicht offensichtlich zeigen, dass ich zugehört habe, doch im selben Moment hält mir sein Kumpel eine Zigarettenschachtel unter die Nase.
Ich lerne: Zigaretten und Schnaps gehören hier zum guten Ton beim Kennenlernen.
Meine Vermutung war richtig, beide sind im Ort aufgewachsen. Giannis, der mit dem nordamerikanischen Akzent, wohnt in Kanada und kommt jedes Jahr im Sommer für zwei bis drei Monate hierher, in seine griechischen Heimat. Ich kann mir schlechteres vorstellen, sage ich und er bestätigt. Er habe das Beste von beiden Seiten. Momentan baue er das Haus seines Vaters zum Ferienhaus um, das müsse ich mir unbedingt ansehen. Es sei viel Arbeit, aber er kann die Arbeit hier besser genießen als zu Hause in Vancouver.
Darauf trinken wir einen Shot.

Christos, sein Freund, wohnt im Nebendorf. Er ist Schreiner und freut sich zu hören, dass der Protagonist in meinem Roman auch Schreiner ist.
Darauf müssen wir natürlich einen Shot trinken.
Als ich Giannis Forderung, seine Person ebenfalls in die Geschichte einzubinden, in die Schranken weise, kostet es mich zwei Schnäpse,
bis er wieder mit mir redet.

Merke: der griechische Stolz ist sehr empfindsam.

Fast nebensächliche, belanglose Gespräche, viel Gelächter und eine ordentlichen Portion Kopfschmerzen machen diesen Abend für mich unvergesslich (vor allem der Schnaps – ich muss wirklich an meiner Toleranzgrenze arbeiten, wenn ich hier einen ganzen Monat verbringen will). Sofort finde ich neue Freunde in Christos und Giannis, die es während meines gesamten Aufenthalts auch bleiben. Es fühlt sich an, als würde ich die zwei schon ewig kennen.
Zum ersten Mal seit Monaten vergesse ich jegliche Gedanken an die Arbeit und auch an meinen Roman. Irgendwie macht dieser Abend fast alles wieder gut, was durch die Einsamkeit und Isolation der Pandemie in den letzten Jahren gefehlt hat. Ein Auftakt, der meine Zeit in Griechenland kennzeichnet: Eine Zeit voller Momente.

Treppen mit Meerblick
Welcher Ort könnte besser zum Leben geeignet sein,
als ein verschlafenes griechisches Dorf am Meer?
Photo: H. Fall via Unsplash

Die beste Schreibinspiration?Begegnungen fürs Leben

Schnell werden die Barabende für mich zum wichtigsten Teil meiner Zeit hier, ganz so, als wäre ich in ein Drehbuch voller Klischees gefallen und alle erweisen sie sich als doppelt extrem.
Dank der Bekanntschaft zu Giannis und Christos wird der Kreis um meinen Platz an der Bar Abend für Abend größer, der Zigarettenkonsum steigt ins Unermessliche, genauso wie die Geschichten über das Leben und Verlust, über Herzschmerz und die Liebe.
Es gibt Schnaps, viel Schnaps, und ganz viele Versprechungen mir gegenüber seitens der Locals, von denen kein einziges gehalten wird.
„In Griechenland machen wir die Dinge lieber morgen als heute, und wenn nicht morgen, vielleicht übermorgen“, sagt einer von ihnen und ich glaube, ich könnte mich an diese Einstellung schneller, als mir lieb ist, gewöhnen.

Giannis ist hier so etwas wie das Bindeglied der Community, was mich komischerweise gar nicht wundert, obwohl er in Kanada lebt. Im letzten Jahr musste er nicht nur seinen Bruder, sondern auch seinen Vater beerdigen und hat dadurch eine tiefere Bindung zu der Community hier bekommen. Und wirklich, fast jeder, der die Bar betritt, macht einen Zwischenstopp bei Giannis für die obligatorische Zigarette und den Begrüßungsschnaps. Währenddessen liefert er mir zu jeder Person, die neu dazukommt, eine Art laufenden Kommentar, damit ich innerhalb kürzester Zeit genauestens im Bilde bin. Mir gefällt meine Position, alles, was vor sich geht, zu beobachten und stets mit Hintergründen versorgt zu werden. Eine bessere Inspiration zum Schreiben gibt es wohl nicht, und dabei lachen wir unglaublich viel.
„Er ist guter Typ, hat gutes Herz“, weist mich die Bedienung Samy mit eindringlicher Miene zurecht, als ich es wage, mich über Giannis zu beschweren, weil er schon wieder unbemerkt meine gesamte Rechnung übernimmt. Also halte ich den Mund und fokussiere mich wieder auf die Menschen und das Geschehen um mich herum.
Da ist Alessandro, der mit 60 Jahren aus Rom hierhergezogen ist und die einzige Pizzeria (was auch sonst?) im Ort betreibt. Dann gibt es den Papa der Barjungs, der das griechische Restaurant nebenan besitzt, der kaum Englisch spricht und mich ein wenig an einen übergroßen Teddybär erinnert. Er winkt jedes Mal überschwänglich, wenn er mich sieht.

Klischeehafter Film oder griechische Wirklichkeit?

Lola, die Britin, die eng mit Giannis verstorbenem Bruder befreundet war und ‚seit Ewigkeiten‘ hierherkommt.
„Ich hab‘ dich schon vor ein paar Tagen hier gesehen und dachte mir, ‚die Frau ist ´ne absolute Queen‘“, ruft sie, als sie auf mich zukommt und begrüßt mich mit einer Umarmung, als wären wir zwei lang verlorene Schwestern. Es ist die seltene Art der wertschätzenden Begegnung, wie es sie nur unter Frauen geben kann. Laut verkündet sie – deutlich hörbar auch für alle benachbarten Häuser – sie habe ihren Intimbereich für ein Date am nächsten Tag dummerweise mit Selbstbräuner eingeschmiert.
„Ich hoffe, das lässt bis morgen wieder nach, meine Vagina sieht nämlich gerade aus wie ein geröstetes Hühnchen.“
Sofort erntet sie Zuspruch aus der überwiegend männlichen Runde. „Der Typ wird dich auch so lieben, geröstetes Hühnchen hin oder her“, und, „Liebling, wenn er dich deswegen laufen lässt, ist er ohnehin ein Idiot.“ Darauf gibt es, natürlich, noch einen Shot.
„Lola hat ein wirklich gutes Herz“, sagt Christos an mich gewandt, als wäre er mir eine Erklärung schuldig und wirft seine ausgequetschte Zitrone mit Nachdruck in das leere Tequilaglas.

„Frauen waren die Droge meines Lebens. Ich habe sie alle geliebt, wirklich geliebt.“

Nach einer Geschichte, die von Christos‘ Großeltern in einem Olivenbaum handelt und für meinen Geschmack etwas zu viele Details enthält, teilt Alessandro, der Pizzeria-Inhaber, Anekdoten seiner Reisen.
Er habe viel geliebt, und er habe nichts bereut.
Was solle er sagen, Frauen waren nun einmal die schönste Droge in seinem Leben. Sie alle hat er geliebt, wirklich geliebt, verkündet er, wie der Italiener, der er ist: theatralische Gestik, Zigarette in der einen, Wein in der anderen Hand.
Aber er hofft, dass sein siebzehnjähriger Sohn etwas weniger nach ihm schlägt, etwas vernünftiger sei. „Am Ende muss man ja doch gucken, dass man das Leben außerhalb der Frauen noch auf die Reihe kriegt“, sagt er ernst und darauf stoßen wir, natürlich, an.
Nach 11 Uhr abends stoßen die Mitarbeiter aus den umliegenden Hotels auf ein Feierabendbier dazu. „Um diese Jahreszeit sind hier kaum Touristen anzutreffen, die bleiben alle in ihren Hotels“, erklärt mir einer von ihnen und scheint ganz glücklich darüber zu sein. Ich kann es ihm nicht verübeln, frage, was die Locals hier im Winter machen, wenn der Tourismus ganz vorbei ist und die örtlichen Bars ebenfalls geschlossen haben. „Leben“, sagt Spiros, einer der Barkeeper, schulterzuckend und alle lachen.
Und welcher Ort könnte dafür geeigneter sein, als ein verschlafenes griechisches Dorf am Meer?

Die griechische Lebensphilosophie:
das ganze Leben ist eine Romanze

Eines Tages, während ich an der Strandbar auf das glitzernde Auf und Ab der Wellen starre, steuert ein in nichts als Badehose bekleideter Mann auf mich zu.
„Du bist Kimmy. Du gehörst doch zu Giannis und den Jungs“, sagt er strahlend und während die Formulierung ‚dazugehören‘ mir etwas übertrieben scheint, wird mir klar, dass jeder, der sich hier Giannis Freund nennt, automatisch jedermanns Freund ist.
Er stellt sich als Dimitris vor. Dimitris arbeitet seit 20 Jahren in den Hotels und Bars hier vor Ort. Er kennt viele Menschen und viele Geschichten und weiß selbstverständlich auch schon von meinen Schreibplänen, bevor ich sie ihm mitgeteilt habe. Woran genau ich schreibe, will er wissen.
„Eine Liebesgeschichte“, antworte ich.
„Na, da bist du an genau den richtigen Ort gekommen“, entgegnet er mit einem Strahlen und dramatischer Geste Richtung Meer.
Ein Grieche, wie er im Buche steht: Mit gutem Aussehen und einer gesunden Portion Selbstbewusstsein gesegnet, schätzungsweise Ende Vierzig, kristallklare blaue Augen, und – natürlich – auch noch höchst charmant.
Der Handkuss, den er mir gibt, wirkt gar nicht kitschig, sondern ganz und gar passend und ich schwebe zehn Zentimeter höher.

Ohne, dass ich etwas dafür tue, fühle ich mich
hier mehr als Frau.

Dimitris erinnert mich an etwas, das mir hier bereits an den ersten beiden Abenden in der Bar aufgefallen ist: Eine tiefe Wertschätzung und Aufmerksamkeit, mit der sich die Menschen hier begegnen, die insbesondere Frauen hier entgegenkommt.
Nicht immer hat das direkt etwas mit Flirten zu tun – auch wenn das Flirten hier ganz natürlicherweise in der Luft liegt. Es ist schwer zu beschreiben, doch ohne, dass ich etwas dafür tue, fühle ich mich hier automatisch mehr als Frau.
Ohnehin wirken alle Frauen hier irgendwie mehr bei sich, mit sich im Reinen. Ob das die Sonne ist? Oder der Halt der Community? Oder beides?

 „Das ganze Leben ist eine Romanze“, reißt Dimitris mich aus meinen Gedanken und beginnt prompt, mir eine davon zu erzählen. Weil es seine Geschichte ist, steht es mir nicht zu, sie hier wiederzugeben, aber sie enthält alles, was man sich von einer griechischen Romanze erwartet: Herzzerreißende Momente voller Sonnenuntergänge, romantische Nächte am Strand und Oscar-trächtige Abschiede. Eine Geschichte über die große Liebe mit der ordentlichen Prise Tragik. Die Geschichte, von der sich Schriftsteller wünschen, sie wäre ihnen eingefallen.
Er habe viele Geschichten über die Liebe zu erzählen, sagt er, und daran zweifle ich keine Sekunde. Ob ich meine eigene Romanze leben würde, schließlich ginge es im Leben doch immer um die Liebe, nicht wahr?
Ich schätze, an einem Ort wie diesem tut es das, antworte ich.

Fortan verbringe ich meine Abende zweigeteilt: Den ersten Teil in der holzvertäfelten, kleinen Hippie-Bar, in der Dimitris arbeitet, um seinen Geschichten zu lauschen. Wie es so sein soll, ist die Inhaberin der Bar niemand anders die Mutter der Jungs, denen die Bar mit den Zitronenbäumen gehört, wo ich für den zweiten Teil meines jeden Abends erwartet werde, als wäre ich Teil der Familie.
Hier verabredet man sich nicht über WhatsApp oder Nachrichten, Smartphones scheinen nicht zu existieren, obwohl jeder eins hat – hier trifft man sich einfach jeden Abend am selben Ort um dieselbe Zeit.
Es ist das echte Leben, wie ich es lange nicht mehr gelebt habe,
und doch kommt es mir vor, als sei ich direkt in eine Filmkulisse gerutscht, in der ständigen Angst, der Regisseur möge jederzeit zum Abbruch der Szene aufrufen.

Ort mit Meerblick zum Schreiben
Irgendwo zwischen Meerblick und abendlichen Barbesuchen ist mein Plan,
zu schreiben, in Vergessenheit geraten.
Photo: Alexandre Chambon via Unsplash

Das Wunder des Moments führt mich in meine eigene griechische Romanze

Mir ist es zwar ganz und gar rätselhaft, wann genau das passiert ist, aber mein strukturierter Plan, am Roman zu schreiben, ist irgendwo zwischen Meerblick und abendlichen Schnäpsen in Vergessenheit geraten.
„Alles, was wir haben, ist der Moment. Und du weißt nie, wohin er dich führt, deshalb solltest du immer ‚Ja‘ zum Moment sagen“, erklärt mir Dimitris weise, und dieser Anweisung folge ich nur zu gern.
Meine Momente führen mich auf nächtliche Ausflüge mit dem Motorrad unter sternbesetztem Himmel, Wind in den Haaren und dem Geschmack von Salz in der Luft. Sie führen mich zum Aufwachen vor einem von der Sonne glitzerndem Meer. Wahrhaftig, jeder Moment steckt voller Wunder, und einer davon führt mich geradewegs in meine eigene kleine Romanze.
Der wahr gewordene Schriftstellertraum.

Es ist der wahr gewordene Schriftstellertraum: Das Leben hat keinen Zufall gemacht, mich zu diesem Zeitpunkt an diesen Ort zu schicken.

Es ist eine dieser typischen letzten Nächte. Er verlässt das Dorf morgen.
Ich hab es nicht kommen sehen, doch dann scheint es, als hätten alle bisherigen Tage und Abende auf diesen Moment zwischen uns hingearbeitet. Natürlich sind die Stunden, die wir zusammen verbringen, bei Weitem nicht genug, und als er lange vor mir abreist, ist der Abschied bittersüß und voller Bekenntnisse und Reue: hätten wir doch schon Tage vorher den Mut gefasst. Alles, was wir haben, ist dieser Moment, und wie bei jeder guten Romanze macht der Abschied den erst so richtig besonders. Es ist eine der Geschichten, von denen ich hier schon so viele gehört habe – nur, dass ich sie dieses Mal selbst erlebe.
Auch nach seiner Abreise bleiben wir täglich in Kontakt und genießen, trotz Distanz und Zeitverschiebung, die griechischen Sonnenuntergänge zusammen, schlafen gemeinsam ein und wachen zusammen auf.
Wir planen bereits das nächste Treffen außerhalb Griechenlands.
Während ich weiß, dass er nicht besonders lange in meinem Leben bleiben wird, ist es ausgerechnet diese Ungezwungenheit, die meine Schutzhülle und all die Wände herunterreißt. All das einfach so niedermäht, was ich mir in den letzten Jahren so mühsam aufgebaut hatte. Plötzlich steht da jemand, mit dem ich mich zum ersten Mal seit Jahren wieder richtig fallen lassen kann, richtig fühlen kann.
Wahrscheinlich ist es nicht die große Liebe, aber eine Verbindung, die von mehr Nähe, Reife und gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist als alles, was ich bisher erlebt habe.
Ich bezweifle, dass er weiß, was diese Begegnung mir wirklich bedeutet, und ich werde es ihm nicht sagen. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass das Leben keinen Zufall gemacht hat, mich genau zu diesem Zeitpunkt an diesen Ort zu schicken. Hierher, wo ich den Menschen getroffen habe, der mir zeigt, wer ich wirklich sein möchte – und, noch wichtiger, – wer ich wirklich sein kann.
Endlich kann ich mich wieder auf etwas freuen.
Er hilft mir zurück ins Leben.

Die Schattenseiten einer Sommerromanze

Doch selbst in meinem romantischen griechischen Dorf ist nicht immer alles nur romantisch. In der ersten Woche folgt mir ein weiterer Reisender bis zu meinem Apartment.
Am nächsten Tag ist er verschollen, dann taucht er wieder auf.
Einige Tage lang geht das so, immer mal wieder lungert er in den dunklen Gassen vor den Bars herum, wartet mitten in der Nacht in der ausgestorbenen Straße auf meinem Nach-Hause-Weg, folgt mir, wohin ich gehe, sogar bis auf meine Terrasse.
Niemand hat diesen Typen gesehen oder weiß, wo er unterkommt.
Ich finde das so mysteriös wie beängstigend, doch ohne, dass ich es erklären kann, kenne ich den Grund dafür: Er lebt in einem der am Straßenrand geparkten Autos auf dem Berg.
Ich weiß es einfach.
„Das weißt du nicht sicher“, erwidert Christos, als ich meine Gedanken äußere. „Es könnte genauso gut das Auto von jedem anderen Touristen sein.“
Ja, antworte ich, natürlich könnte das sein. Ich mache mir nicht die Mühe, ihm zu erklären, dass die weibliche Intuition in solchen Fällen immer richtig liegt, ohne, dass wir verstehen müssen, wieso.
Wie ein inneres Navigationssystem, dem ich folge: Ab sofort leitet mich meine Intuition noch mehr als zuvor durch jeden Moment, sie ist mein mein persönlicher, eingebauter Alarm. Sie liegt jedes Mal richtig und warnt mich, wenn der Verfolger in der Nähe ist, noch bevor ich ihn sehe und ich versuche gar nicht erst, das erklären zu wollen.
Ich nehme es einfach hin.
Wenn wir etwas wissen, wissen wir es.
Das Gefühl, verfolgt zu werden, kann ich nie ganz abschütteln, vor allem in den Nächten, in denen ich allein im Bett liege.
Ich wechsle meine Unterkunft dreimal.
Versuche, unauffälliger zu sein.
Trotzdem lauert er mir bis zum letzten Tag vor meiner Abreise auf.
In vielen Momenten verfolgt mich das Unwohlsein, und in anderen ist es wieder vergessen. Diese Erfahrung prägt mich genauso wie alle anderen Dinge hier. Während mir klar und deutlich bewusst ist, dass diese bedrohliche Situation auch ganz anders hätte ausgehen und weitaus mehr als nur einen Schrecken hinterlassen können, bin ich fast froh, dass es mir ausgerechnet an diesem Ort  passiert. Überall hätte es passieren können, solche Dinge passieren überall auf der Welt, aber es hat einen Grund, dass es mir hier passiert ist. Hier habe ich keine andere Chance, als zu vertrauen: meiner Intuition und einem Haufen fremder Menschen. Denn sie sind es, die mich nachts nach Hause fahren müssen. Sie sind es, die ein Auge auf alles haben, was im Dorf vor sich geht. Die jeden Tag fröhlich darum bemüht sind, mir Ablenkung zu bereiten.

Es ist beängstigend und es hätte überall passieren können, aber am Ende bin ich froh, dass es ausgerechnet hier passiert ist.


Weil ich sonst ohnehin viel zu viel fühle, viel zu tief jede Emotion durchleben und verarbeiten muss, tut es einfach mal so richtig gut, diese Emotionen im nächsten Moment wieder ziehen zu lassen und in geselliger Runde zu lachen. Es ist ein Schatten, aber es ist auch nichts weiter als ein Schatten, der sich zu den Bildern der traumhaften Sonnenuntergänge, Abenden unter Zitronenbäumen und heißen Nächten gesellt.
Nichts als Momente, doch jeder Moment geht auch wieder vorbei, wie ich hier gelernt habe.

Frau tanzt im Abendlicht
Eine griechische Romanze – wie sie das Leben nicht besser hätte schreiben können.
Photo: Sasha Freemind via Unsplash

Der beste Plan?
Alle Pläne über Bord zu werfen

„Dass wir dich nächstes Jahr hier wiedersehen, ist jawohl klar“, sagt Giannis, als er sich kurz vor seinem Rückflug nach Kanada verabschiedet.
„Und dann bist du eine bekannte Schriftstellerin“, versichert Christos mir.
„Ich hatte nämlich noch nie einen Schriftsteller als Freund, und wir sind ja jetzt Freunde“. Obwohl es noch gar nicht mein Abschied ist, wird mir das Herz schwer.
Vielleicht, weil ich weiß, dass dieser Moment auch mir ganz bald bevorsteht.
Oder vielleicht, weil diese Menschen mir viel mehr bedeuten, als sie je ahnen können.
„Nicht traurig sein“, sagt Christos und tätschelt mir die Schulter.
„Wir haben schöne Erinnerungen, das ist ein Grund, glücklich zu sein.“
Ich weiß, dass er recht hat. Denn auch, wenn Giannis‘ Abschied eine große Leere hinterlässt, kann das doch nur bedeuten, dass dieser Raum vorher mit Leben gefüllt war, oder?
Leben, an dem ich teilhaben durfte.
Dann stoßen wir an, auf einen letzten Abschiedsschnaps, und ich muss mich hart anstrengen, die Tränen zurückzuhalten.
Besser hätte ich mir das, was ich hier erlebe, für keinen Roman der Welt ausdenken können.
Ging es bei dieser Reise je ums Schreiben, um meinen Plan?
Vielleicht war es von Anfang an der bessere Plan, alle Pläne über Bord zu werfen. Im Moment zu sein.
Und das hier ist mein Moment, denke ich, als ich die Sterne zwischen den Zitronenbäumen hervorblitzen sehe.
Meine Freundin hatte Recht.
Ich habe mich endlich wieder verliebt:
Ins Leben, mit allem, was es zu bieten hat.

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