Ich habe immer den Garten meiner Mutter bewundert.
Der üppige Strauch Rosen, die sich um den Bogen auf der Terrasse winden. Der Lavendel, der vor lauter summenden Bienchen und Hummeln nur so vibriert.
All die strahlenden Farben, zwischen denen sich kleine Spatzen unter lautem Schimpfen an der Wassertränke baden.
Das ungeschnittene Gras und die Beete, die nicht akkurat gepflegt aussehen wie bei den Nachbarn, aus denen aber die schönsten Wildblumen kreuz und quer wachsen.
Daneben das Hibiskusstämmchen und ein weiterer Rosenbusch.
Solange ich denken kann, hat meine Mutter ihre freie Zeit im Garten verbracht.
Jedes Jahr geht sie bei den ersten Frühlingsstrahlen der Sonne raus und beginnt, zu pflanzen. Wenn sie einen Tag von der Arbeit freihat, nutzt sie den, um Pflanzen, Töpfe und Blumenerde zu holen.
An der schattigen Seite der Hauswand stellt sie immer Beete auf, in die sie Tomaten und Paprika pflanzt. Manchmal gibt’s sogar Erdbeeren.
In der Mitte des Gartens steht ein Apfelbaum, und wenn wir sie im frühen Herbst ernten, schmecken die Äpfel eher sauer als süß, aber ich esse keine Äpfel so gern wie diese. Obwohl sie so viel kleiner sind als die Äpfel aus dem Supermarkt und sich viel rauer anfühlen und mehr Löcher von Würmern haben.
Schon früher hat sie jeden Abend, wenn wir aus dem Freibad oder von Fahrradtouren mit Freunden kamen, im Garten gestanden und Wasser gegeben oder Unkraut gezupft.
Das ist bis heute das Bild, das mir das Gefühl von zu Hause gibt:
Meine Mutter unter der Abendsonne im Garten, mit Gartenschlauch in der Hand. Aber nicht diese geschönte Version, die wir in Filmen und Büchern kriegen, etwa mit Sonnenhut und Handschuhen. Nein, Handschuhe trägt sie nur dann, wenn es den Rosen an den Kragen geht, wegen der Dornen. Einen Sonnenhut besitzt sie, glaube ich, gar nicht. Und, selbst an den warmen Tagen, hängt über der Sofakante immer diese alte, dunkelblaue Jacke, die sie bei kühlerem Wetter zur Gartenarbeit und im Winter zum Rauchen anzieht.
Als ich jahrelang weit weg von zu Hause gewohnt habe, meinen eigenen Weg gesucht und mich mit meinen Lebenszielen auseinandergesetzt habe, war für mich vor allem eins klar:
Dieses Leben wollte ich nicht führen. Für einen Mann mein Zuhause und die große Karriere aufgeben und Kinder großziehen? Niemals. Um dann, wenn die Kinder groß sind und man neben dem monotonen Job nichts anderes mehr hat, sich um den Garten zu kümmern. Irgendwie fand ich die Vorstellung traurig, fast sogar ein bisschen lachhaft. Wer anderes im Leben zu tun hat, wer echte Ziele hat, sich etwas aufbauen möchte, der hätte gar keine Zeit für einen Garten, weil er so beschäftigt mit der Arbeit an sich selbst wäre.
Wie oft habe ich mir gewünscht, statt Hingabe gelernt zu haben, wie ich meine eigenen Ziele erreiche, wie ich effizient Dinge umsetze, die ich mir den Kopf gesetzt habe.
Wie oft habe ich mir gewünscht, ich hätte gelernt, zuerst auf meine Bedürfnisse zu achten, statt mich für die Gefühle anderer verantwortlich zu fühlen.
Dass ich all das nie konnte, dass ich meine persönlichen Ziele nie schnell erreicht und mich dabei selbst weniger wert gefühlt habe, das habe ich immer auf die Erziehung meiner Eltern geschoben.
Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass ich in meinem eigenen Leben lange so entschieden alles abgelehnt habe, was mich an den Weg meiner Eltern erinnert hat. Besonders die Hingabe gegenüber jeder Sache und jeder Person. Wieso mich diese Engelsgeduld, mit der meine Mutter immer schon alle Dinge abwarten und aushalten konnte, oft wütend gemacht hat.
Wieso mich der Garten nie losgelassen hat
Ich selbst habe keinen grünen Daumen, noch nie gehabt. Meine Zimmerpflanzen sind eingegangen, seitdem ich denken kann. Vielleicht sitze ich deshalb so gern im Garten meiner Mutter: da kann ich das genießen, was ich selbst nicht imstande bin, aufzuziehen.
Und auch, wenn es mir wichtig war, 12 Jahre lang weit weg von zu Hause zu wohnen – immer dann, wenn ich auf irgendwelchen Pinterest-Boho-Design-Bepflanzten-Großstadt-Balkonen saß, musste ich an den Garten meiner Mutter denken.
Der nie nach irgendwelchen Stilen oder Vorbildern bepflanzt war oder besonders instagrammable aussehen sollte.
Der Garten ist einfach. Er lebt.
Letztes Jahr habe ich mir selbst Blumen für meinen Balkon geholt, um mehr Farbe reinzubringen, die bis ins Wohnzimmer strahlt.
Die ersten Wochen vergaß ich ständig, den Blumen Wasser zu geben. Es war mir zu viel, ich hatte wichtigeres zu tun: Meine Arbeit. Self-Care.
Die Blumen verloren an Farbe und an Fülle, ließen die Köpfe hängen. Einige gingen fast ein. Als ich dann für mehrere Wochen verreisen wollte, bat ich meine Mutter, währenddessen auf meine Pflanzen aufzupassen.
Bei meiner Rückkehr wuchsen alle Blumen und Zimmerpflanzen wieder üppig und strahlend.
Sie hat meine Blumen mit derselben Sorgfalt und Liebe gepflegt, wie ihren eigenen Garten. Dieselbe Hingabe, mit der meine Mutter meine Schwester und mich erzogen hat.
Da ich habe endlich verstanden: egal, was es ist, aber um etwas aufzubauen, etwas wachsen zu lassen, braucht es viel Hingabe.
Und Geduld.
Seit diesem Zeitpunkt habe ich mich täglich darauf gefreut, die Blumen zu pflegen. Zu sehen, wie sie wachsen.
Bei dem Anblick meiner Schlafzimmerpflanze bin ich stolz, weil sie innerhalb eines Jahres um das doppelte gewachsen ist – und das unter meiner Verantwortung. Ich verstehe, dass die wertvollen Dinge nicht von heute auf morgen aus dem Boden schiessen.
Auch, wenn ich für die kommenden Jahre noch andere Pläne, persönliche Ziele habe, aber je mehr Zeit vergeht, desto mehr sehne ich mich nach einem eigenen Garten.
Einen, den ich mit eigenen Händen erschaffen kann.
Bunt, verwildert und voller Leben.
Wie der meiner Mutter.
Hat dir der Beitrag gefallen?
Sags mir in den Kommentaren und teile ihn mit Freunden!
****
Du willst mehr davon? Dann lies hier weiter:
Die Keksdose meines Großvaters – oder was es wirklich braucht, um glücklich zu sein
10 Erkenntnisse vom Reisen, die beim Schreiben helfen